Reanimation gelungen – Patient quicklebendig

  • Die Zuckerfabrik in Znin wurde 1894 errichtet und sollte nach 130 Jahren im Betrieb abgerissen werden. Der Immobilieninvestor ARCHE hatte andere Pläne und verwandelte das historische Ensemble in eine außergewöhnliche Hotel- und Freizeitanlage.© Bulak Architekten/Oni Studio
  • Ein neuer Erschließungskern aus Stahl wurde in das mehrgeschoßige Atrium gesetzt, um die offene Raumgestaltung zu erhalten und die enormen Dimensionen weiterhin erlebbar zu machen.© Bulak Architekten/Oni Studio
  • Massive, unverputzte Ziegelwände, Stahlkonstruktionen, Rohrleitungen und Maschinen sind Teil des Hotelerlebnisses und werden durch neue Bauelemente wie dem Dach über der Haupthalle oder dem Boden stilvoll ergänzt.© Bulak Architekten/Oni Studio
  • Die ursprünglichen Konstruktionselemente und sämtliche freiliegenden Installationen der ehemaligen Industrienutzung wurden in das neue Design integriert. © Bulak Architekten/Oni Studio
  • Die ursprünglichen Konstruktionselemente und sämtliche freiliegenden Installationen der ehemaligen Industrienutzung wurden in das neue Design integriert. © Bulak Architekten/Oni Studio
  • Nicht nur in den öffentlichen Bereichen, sondern auch in den Zimmern und Suiten lebt die industrielle Baugeschichte weiter. Die Gäste erwartet ein gelungener Mix aus Alt und Neu mit zeitgemäßer Hotelausstattung.© Bulak Architekten/Oni Studio
  • Nicht nur in den öffentlichen Bereichen, sondern auch in den Zimmern und Suiten lebt die industrielle Baugeschichte weiter. Die Gäste erwartet ein gelungener Mix aus Alt und Neu mit zeitgemäßer Hotelausstattung.© Bulak Architekten/Oni Studio
  • Die rohen Ziegelwände, freigelegte Rohre, Bolzen und Bleche sind integraler Bestandteil des neuen Innenarchitekturkonzepts und stehen in Wechselwirkung und Kontrast zum modernen Interieur.© Bulak Architekten/Oni Studio
  • Die rohen Ziegelwände, freigelegte Rohre, Bolzen und Bleche sind integraler Bestandteil des neuen Innenarchitekturkonzepts und stehen in Wechselwirkung und Kontrast zum modernen Interieur.© Bulak Architekten/Oni Studio

Eineinhalb Jahrzehnte war das Areal und seine zahlreichen Gebäude – jedweder Funktion beraubt – dem Verfall preisgegeben, bevor sich einer der größten polnischen Immobilieninvestoren des riesigen Komplexes annahm und ihm neues Leben einhauchte. Kompromisslos wurde dabei die alte Substanz samt aller technischen Einbauten erhalten. Das Ergebnis ist Architektur und Design auf allerhöchstem Niveau in einem lebendigen Industriedenkmal zum Anfassen.

Eigentlich sollte die alte Zuckerfabrik in Znin, in der ehemals preußischen Provinz Posen im Norden von Polen, abgerissen werden. Im Jahr 1894 errichtet, war die Anlage bis 2004 in Betrieb und in Spitzenzeiten mit bis zu 800 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber der Region. Nach 130 Jahren im Dauerbetrieb lohnten sich aus Sicht des Betreibers die massiven Investitionen in die dringend notwendige Modernisierung der Gebäude sowie der gesamten technischen Produktionsinfrastruktur nicht mehr und der Betrieb wurde trotz heftiger Proteste der Mitarbeiter und der ortsansässigen Bevölkerung eingestellt.

Neues Leben in alten Mauern 

Über zehn Jahre stand der Großteil der Gebäude leer bzw. wurden einige Lagerhallen noch weiter zum Einlagern von Zucker und Melasse genutzt. Im Jahr 2015 schließlich wurde der gesamte Komplex von der polnischen Immobilien- und Hotelgruppe Arche gekauft, mit dem Ziel die originale Substanz der Gebäude inklusive aller Umbauten und Erweiterungen der vergangenen Jahrzehnte unter Berücksichtigung ihres kulturhistorischen Wertes von Grund auf zu sanieren. Das „neue“ alte Gebäude sollte in seiner vollen ästhetischen, aber auch technischen Vielfalt im neuen Glanz erstrahlen und vor allem wieder einer Nutzung zugeführt werden. Diese neue Nutzung umfasst heute zwei Hotelgebäude mit insgesamt über 630 Betten sowie 15 zweigeschoßige Appartements, 11 Konferenzräume, Restaurants, Bars, eine hauseigene Brauerei mit lokalen Bierspezialitäten, ein Kino, ein Spa mit einem 1.350 Quadratmeter umfassenden Wellnessbereich samt Whirlpool, Saunalandschaft und Entspannungszonen, einen kleinen Wasserpark mit Schwimmbad, Planschbecken und Rutschen sowie eine Bowlingbahn mit Clubraum. Das Gelände der alten Zuckerfabrik grenzt zudem an einen See, der früher die Fabrik mit Wasser versorgte und seit jeher auch als Badesee dient. Im Zuge der Revitalisierung der Außenbereiche wurde auch der See in das Freizeitangebot integriert und ein ­kleiner Jachthafen errichtet, ergänzt durch ein Mietservice für Motor- oder Tretboote, Kanus etc. sowie zahlreiche Wassersportmöglichkeiten.  

(Bau)Geschichte erhalten

Mit dem Masterplan für die Generalsanierung und Reorganisation des Geländes und seiner insgesamt 27 Gebäude wurde das polnische Architekturbüro Bulak beauftragt. Dabei erwies sich das Projekt alleine schon aufgrund seiner schieren Größe, der Struktur und Kubatur der einzelnen Gebäude sowohl planerisch als auch in der späteren Ausführung logistisch als eine enorme Herausforderung für alle an der Planung und Umsetzung beteiligten Spezialplaner und ausführenden Professionisten. Die originalen Sichtziegelfassaden wurden im Zuge der umfassenden Sanierung erhalten bzw. wo erforderlich rekonstruiert. So blieb der Charakter des postindustriellen Gebäudes durchgehend bewahrt. Einzig der alte Fabrikrauchfang ist ein wenig kürzer als ursprünglich. Kurz nachdem Arche die Anlage erworben hatte und noch vor Beginn der Bauarbeiten ist der oberste Teil eingestürzt. So dass das einstige ­Wahrzeichen der ehemaligen Zuckerfabrik – mit ­heute „nur“ noch 35 Metern zwar deutlich kleiner – ­immer noch alle anderen Gebäude überragt. Aber auch für die diversen Abbruchmaterialien auf dem Gelände wurde im Rahmen der Neuplanung Verwendung gefunden. Noch brauchbare Ziegel des Schornsteins wurden beispielsweise für Ausbesserungsarbeiten oder kleine Erweiterungen an den ­Nebengebäuden verwendet und die alte Dachkonstruktion der Fabrik stützt heute die neu entworfenen Verbindungsgänge zwischen den Gebäuden.

Interior design mit Bedacht auf den Bestand

Rote Sichtziegel, Stahlkonstruktionen und Rohrleitungen dominieren das äußere Erscheinungsbild der Gebäude – sie erinnern an die industrielle Geschichte des Ortes und finden sich ebenso auch im Inneren wieder. Die umfassenden Mauern wurden sand­gestrahlt und zeigen nach wie vor die Ziegeloberflächen; zusätzliche Stahlrahmen unterstützen die Statik und fügen sich nahtlos in die alte Fabriksarchitektur ein. Ergänzt wird die bauliche Struktur im Inneren durch rohe Betonoberflächen der tragenden Einbauten sowie die rauen Stahlgeländer und Gitterbrüstungen der neuen Erschließung. Sämtliche freiliegenden Installationen der ehemaligen Industrienutzung wurden in das neue Design integriert. Das einstige Hauptproduktionsgebäude wurde zum 4-Sterne-Hotel umfunktioniert, in dem alle Zimmer sowie die 15 zweigeschoßigen Suiten um einen zentralen, galerieartigen Bereich angeordnet sind. Ein neuer Erschließungskern aus Stahl wurde in das mehrgeschoßige Atrium gesetzt, um die offene Raumgestaltung zu erhalten und die enormen ­Dimensionen weiterhin erlebbar zu machen. Eine lange Brücke aus Stahl und Glas verbindet das Hauptgebäude mit einem der dahinterliegenden ehemaligen Lagerhäuser, das zu einem weiteren 3-Sterne-Hotel umgebaut wurde.

Für die Innenraumplanung und das Interior Design holten sich Bulak Architekten die beiden ­international renommierten polnischen Innenraumplaner MMl Architekci und MIXD an ihre Seite, die die Gebäudekerne mit Bedacht auf den Bestand zeitgemäß interpretierten. Die freigelegten Rohre, Bolzen und Bleche sind integraler Bestandteil des neuen Innenarchitekturkonzepts und stehen in Wechselwirkung und Kontrast zu den Möbeln in den Restaurants, Bars und Entspannungsbereichen sowie zu den kaskadenförmigen Grünflächen und Pflanzen in vielen Gemeinschaftsbereichen. Die Designer reagierten auf die gestalterische Herausforderung kahler Wände, freiliegender Decken und an ihrem ursprünglichen Platz belassener Maschinen, um ­intime, warme Räume und eine einzigartige Iden­tität zu schaffen. Und so lebt nicht nur in den öffentlichen Bereichen die industrielle Baugeschichte weiter, sondern auch in den einzelnen Hotelzimmern erwartet die Gäste ein gelungener Mix aus Alt und Neu, wo die nackten Ziegelwände mit dem zeitgemäßen Interieur und modernster Hotelausstattung kontrastieren.   

Umfassender Einsatz von Trockenbaulösungen

Um nicht nur in gestalterischer Hinsicht up-to-date zu sein, sondern auch in puncto Sicherheit und Nutzerkomfort dem letzten Stand der Technik zu entsprechen, wurden vor allem im Hotelbereich alle nicht tragenden Einbauten in Trockenbauweise errichtet bzw. neue tragende Stahlelemente in Trockenbauweise ummantelt. Damit ist im gesamten Gebäude die baurechtlich geforderte Feuerbeständigkeit von EI 30 sichergestellt. Außerdem gewährleisten die verwendeten Trockenbaukonstruktionen auch den akustischen Komfort, der den hohen Anforderungen an einen Hotelbetrieb entspricht. Zu den größten Herausforderungen für Planung und Ausführung zählte die Errichtung der zusätzlichen Hotelzimmer im Dachgeschoß des Hauptgebäudes. Sie wurden als selbsttragende Raumeinheiten mit UA-Profilen und speziellen – sowohl statisch mittragenden als akustisch wirksamen – Wandaufbauten aus der RIGIPS Systemfamilie umgesetzt. Dank der Umsetzung als Leichtbaukonstruktion wurde die Errichtung der Zimmer im Dachgeschoßbereich überhaupt erst möglich. Eine Alternative in Massivbauweise wäre für die alte Bausubstanz viel zu schwer bzw. der Einbau zusätzlicher Elemente zur Verstärkung der Tragstruktur bautechnisch extrem aufwändig gewesen und hätte vor allem auch den Charakter des Bestandes zerstört. Mit der Leichtbauvariante konnten zudem nicht nur die Kosten deutlich reduziert, sondern auch die Bauzeit wesentlich verkürzt werden. 

Neben den Zimmern sind aber vor allem auch im Spa, dem Sauna- und Wellnessbereich sowie im Schwimmbad Trockenbaukonstruktionen umfassend zum Einsatz gekommen. Mit den Rigips Nassraum-Komplettsystemen Glasroc X und Aquaroc hat auch hier das ausführende Bauunternehmen für ­einen schnellen Baufortschritt und zuverlässige Konstruktionen gesorgt, sowohl in Hinblick auf Langlebigkeit als auch was die Widerstandsfähigkeit gegenüber dauerhafter Feuchtigkeit betrifft. 

Mit dem Charme des Originals

Obwohl die 27 Bestandsgebäude komplett neu bespielt werden, ist es dem Bauherren und Architekten gelungen, den historischen Gesamtcharakter der Anlage zu bewahren. Unter anderem durch die Einbindung der zahlreichen historischen Elemente. So wurden beispielsweise die alten Steinpflaster im ­Außenbereich aufwändig restauriert, Lastwagen und Lastzüge, Rohre, Maschinen, Masten usw. an Ort und Stelle belassen. Dass die alte, zum Abriss freigegebene Zuckerfabrik letztendlich doch noch erhalten werden konnte, ist auf eine Kombination von mehreren Faktoren zurückzuführen, allem voran einem Investor, der das Potential einer halbverfallenen Immobilie erkannte und den Mut zur weitreichend originalgetreuen Revitalisierung hatte. Ebenso einer Riege von Architekten, Planern und Interieur-Designern, die die Vision des Investors umzusetzen wussten. Und schlussendlich fand sich in der örtlichen Baubehörde und den städtischen Ämtern für die Bewilligung der einzelnen neuen Funktionen eine seltene Unterstützungsbereitschaft, die in der Bedeutung der Zuckerfabrik für die Stadt Znin und der eng miteinander verwobenen über hundertjährigen Geschichte fußt. 

ZITAT:

„Wir haben uns darauf konzentriert, die Geschichte des Gebäudes zu bewahren, indem wir fast alle Elemente der alten Fabrik, bis hin zu den Schrauben und Blechresten, erhalten haben."
Marek Bulak, Architekt

FAKTEN:

Zuckerfabrik ZNIN (PL)
Janickiego-Straße 1, 88-400 Znin

Investor/Bauherr: ARCHE
Architektur: Bulak Projekt, Marek Bulak und Piotr Grochowski
Interior Design: MML ARCHITEKCI und MIXD
Elektrotechnik: Pracownia Elektryczna  
Sanitärinstallation: ELER  
Generalunternehmer: ARCHE
Ursprüngliche Errichtung: 1894
Planung: 2015
Bauzeit: 2017–2020
Bebaute Fläche: 16.800 m2
Nutzbare Fläche: ca. 36.000 m2